Zur Istanbul-Konvention

Die Istanbul Konvention von 2011 gilt als das weitreichendste rechtsverbindliche Menschenrechtsinstrument zur Verhinderung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zum Handeln. Obwohl die Konvention sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität als unzulässige Gründe für Diskriminierung erwähnt, bleiben Gewalterfahrungen von lesbischen, bisexuellen, trans, queeren und intergeschlechtlichen (LBTQI) Frauen oft unerkannt. Daher hat unsere bündnisgrüne Verordnete Chantal Münster beim Bezirksamt nachgefragt wie es um die Umsetzung der Istanbul Konvention bei uns in Marzahn-Hellersdorf steht:

Frage 1: Welche Daten zu Gewalt gegen Frauen und junge Mädchen liegen dem Bezirksamt vor?

Das Bezirksamt hat keine eigene Statistik zu Gewalt an Frauen. Das Bezirksamt beruft sich auf öffentlich zugängliche Statistiken und Daten. Als Hauptquelle für Daten gegen Gewalt an Frauen sind dies: Für die Bundesrepublik Deutschland der jährliche Bericht „ Partnerschaftsqewalt- Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2020″ des BKA (Bundeskriminalamtes). Der letzte Bericht wurde im November 2021 veröffentlicht und beinhaltet die Daten für 2020.

Für das Land Berlin: Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) mit einem Abschnitt zu dem Thema „Partnerschaftliche/innerfamiliäre Gewalt”, abrufbar über die Seite des Senats: https://www.berlin.de/polizei/verschiedenes/polizeiliche-kriminalstatistik/.

Der aktuelle Bericht bezieht sich auf die Daten von 2020. Daten zu Häuslicher Gewalt bezogen auf den Bezirk und sogar die Bezirksregionen sind nicht öffentlich. Diese müssen bei der Senatsverwaltung für Inneres oder das Abgeordnetenhaus angefragt werden. Ob sie veröffentlicht werden, entscheidet der Senat bzw. die Polizei.

Zusätzlich gab es mehrere Anfragen im Abgeordnetenhaus (AGH) zum Thema Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen, in denen aktuelle Daten aufgeführt werden, z.B. folgende:

– Drucksache 19 / 10 578 – Häusliche Gewalt im Vergleich der Jahre 2019 bis 2021
– Drucksache 19 / 10 742 – Häusliche Gewalt in der Pandemie
– Drucksache 18 / 27 417 – Infrastruktur für schutzsuchende und von Gewalt bedrohte Frauen
– Drucksache 18 / 26 694 – Anstieg der Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz an den Berliner Familiengerichten im Zuge der Corona-Maßnahmen
– Drucksache 18 / 25 680 – Häusliche Gewalt in der Corona-Krise

Frage 2: Welche Maßnahmen werden im Bezirk umgesetzt oder sind in Planung, um das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) umzusetzen?

Das Land Berlin ist zur Umsetzung der Istanbul Konvention für Berlin zuständig. Die Senatsverwaltung Gleichstellung (Sen WGPG) ist die zuständige Senatsverwaltung. Es gibt eine Koordinatorin zur Umsetzung der Istanbul Konvention. Aktuell gibt es drei Fachgruppen, die zu dem Thema arbeiten.

Am 03.06.2021 wurde das Eckpunktepapier für einen Berliner Landesaktionsplan zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention) veröffentlicht.

Aktuell wird durch die Senatsverwaltung ein Konzept zur Umsetzung erarbeitet und soll demnächst veröffentlicht werden.

Frage 3: Inwiefern erfolgt eine bezirksübergreifende bzw. berlinweite Zusammenarbeit mit anderen Bezirksämtern und/oder der Senatsebene in Bezug auf die Istanbul-Konvention?

Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte arbeitet mit ihren Kolleginnen aus den anderen Bezirken in der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) bezirksübergreifend zusammen und tauscht sich auch regelmäßig zu der Istanbul Konvention und dem Thema Häusliche Gewalt aus. Mit der Senatsverwaltung WGPG gibt es zwei mal im Jahr einen Fachaustausch in dem auch das Thema Gewalt gegen Frauen eine Rolle spielt. Die LAG entsendet je eine Kollegin in die Fach-Arbeitsgruppen des Senats.

Die LAG hat die letzten Jahre mehrfach das Land Berlin aufgefordert, die Umsetzung der Istanbul Konvention schneller voranzutreiben. Um dieses Ziel zu unterstützen, hat die LAG seit 2019 einen berlinweiten Fachtag „,Sorge und Umgangsrecht nach häuslicher Gewalt im Kontext der Istanbul Konvention” vorbereitet, der aufgrund von Corona dann am 10.03.2021 digital stattfand. Es gab 400 Anmeldungen aus sehr unterschiedlichen Berufsfeldern. Die Nachfrage war sehr groß.

Der Senat plant zu dem neuen Konzept des Landes Berlin zur Umsetzung der Istanbul-Konvention einen Konsultationsprozess, in dem auch die Bezirke einbezogen werden sollen. Noch ist unklar, wie dieser Prozess aussehen wird.

Frage 4: Gibt es eine Gesamtstrategie im Kampf gegen Gewalt an Frauen und jungen dchen?

Sowohl der Bund über das Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Land Berlin über die Senatsverwaltung WGPG haben Strategien zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen und zur Umsetzung der Istanbul Konvention. Für Berlin gibt es unterschiedliche Maßnahmen und Schwerpunkt. Die Förderung des Berliner Hilfesystems für von gewaltbetroffenen Frauen liegt in der Zuständigkeit des Senats. Ausführliche Informationen finden sich auf der Seite: https://www.berlin.de/sen/frauen/keine-gewalt/haeusliche-gewalt/

Frage 5: Welche Kapazitäten und Ressourcen bräuchte das Bezirksamt ggfs., um eine solche Gesamtstrategie (weiter) zu entwickeln?

Für eine eigene bezirkliche Strategie zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im Sinne eines Aktionsplans bräuchte das Bezirksamt ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen. Sinnvoll wären Personalstellen, die einen bezirklichen Aktionsplan erarbeiten und finanzielle Mittel zur Umsetzung zur Verfügung haben.

Für die Förderung eines bezirklichen Hilfesystems wären eine umfangreiche Erweiterung der bestehenden Infrastruktur sinnvoll. Die bisherige bezirkliche Infrastruktur entspricht in vielen Bereichen nicht den Bedarfen. Der Arbeitskreis (AK) MH gegen häusliche Gewalt hat in seiner letzten Stellungnahme (August 2021) darauf hingewiesen, dass es einen erheblichen Ausbau geben sollte, um die Bedarfe auch im Sinne der Istanbul Konvention zu erfüllen.

Die Stellungnahme ist auf der Website des Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirksamtes abrufbar: https://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdort/politik-und-verwaltuna/beauftraqte/frauen-gleichstellung/haeusliche-gewalt/

Für einen Ausbau der bezirklichen Infrastruktur wäre denkbar:

– eine eigene Fach- und Interventionsberatungsstelle für gewaltbetroffene Frauen (die nächsten liegen in Neukölln, Weißensee und Mitte),

– ein bezirkliches Frauenhaus (gibt keins in MH),

– mehrere weitere bezirkliche Zufluchtswohnungen (gibt 2 über das FZ Matilde),

– bezirkliche Täterarbeit (gibt nur eine in Mitte),

– bezirkliches Projekt „,Kind im Blick” (nach dem Vorbild Neukölln)

– Ausbau der Unterstützung für betroffene Kinder- und Jugendliche (bisher nicht vorhanden).

Der Arbeitskreis betont ebenfalls die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit und Vernetzung der unterschiedlichen Beratungsstellen und Ämter, die für einen erfolgreiche Invention der Gewalt notwendig ist und bei der finanziellen Ausstattung mit eingeplant werden sollte. Weiterhin sollten die verschiedenen Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen (Frauen mit vielen Kindern oder mit älteren Sähen, Frauen mit Sprachbarrieren, Frauen mit Behinderungen, Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen, Täter, die auch Väter sind, betroffene Kinder und Jugendliche, etc.) mitgedacht werden.

Verwandte Artikel