Viele Interessierte kamen am 18.09.2017 zur Diskussion auf dem Weltacker des IGA-Campus in Marzahn-Hellersdorf mit Anton Hofreiter (Bü 90/Grüne), Norbert Lemken (Bayer Crop-Science), Prof. Dr. Thomas Schmitt (Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut) und Benny Haerlin (Moderation).
Noch vor 20 Jahren war im Sommer nach einer längeren Autofahrt die Windschutzscheibe voller Insekten. Heute ist das nicht mehr so – ein anschauliches Beispiel dafür, dass sich die Zahl der Insekten in den letzten Jahrzehnten signifikant reduziert hat. Zusammen mit den Experten ging es um die Frage: Was kann gegen den Rückgang getan werden? Diskutiert wurden Ursachen, Folgen und geeignete Gegenmaßnahmen.
Der Diplom-Biologe und Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Toni Hofreiter und Dr. Thomas Schmitt vom Senckenberg Institut erläuterten, dass die Artenvielfalt wie ein Netz ist. Mit jedem Knoten, der verschwindet, wird die Stabilität und Tragfähigkeit dieses Netzes geschwächt, bis es zerreißt. Damit steigt wie bei der Klimakrise die Gefahr, dass Kipppunkte für die Ökosysteme erreicht werden. Dann würde das Aussterben selbsttragend und unkontrollierbar werden. Muss bei diesem Risiko für Mensch und Umwelt auf endgültige Belege gewartet, oder aus Basis von Indizien eher früher als später gehandelt werden? So ist bei der chemischen Stoffgrupppe der Neonikotinoide im Labor eine Auswirkung auf Insekten belegt, aber in der Wildnis dauern entsprechende Langzeitstudien noch an.
Viele Ursachen addieren sich oder stehen in Wechselwirkung: die Landnutzungsänderung und Verluste von Lebensräumen durch Urbanisierung, die Intensivierung der Landwirtschaft, der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger, intensive Weidenutzung und blütenarme Landschaften durch Monokulturen. Die Arten- und Bestandsrückgänge bei vielen Insektengattungen bedingen durch fehlende Nahrung auch bei den Vogelarten einen Rückgang der Populationen. Zudem bedrohen die Klimakrise, Krankheiten und invasive Arten die wichtigen Bestäuber und Insekten weltweit.
Welche Verantwortung tragen die Bauern und die Pestizidhersteller? Herr Lemken von Bayer verwies bei Glyphosat und anderen chemischen Pflanzenschutzmitteln auf den Markt und die Entscheidung durch Verbraucher. Die Position der Lobby blieb nicht ohne Antwort: Insektizide müssen verantwortungsvoller eingesetzt werden, denn Studien zeigen auch bei niedrigen, nicht tödlichen Dosierungen, dass Neonikotinoide die Orientierung und Kommunikation bei Honig- und Wildbienen stören und die Fruchtbarkeit von Insekten verschlechtern. Neben einem Verbot von Neonikotinoiden sind eine wesentliche Reduktion des gesamten Pestizideinsatzes und eine Ökologisierung der Landwirtschaft insgesamt nötig, um Bestäubern und anderen Nützlingen wieder gute Lebensbedingungen zu verschaffen. Sonst sägt die Landwirtschaft weiter am eigenen Ast. Agrargelder müssen zukünftig an Leistungen für das Gemeinwohl wie für Umwelt- und Naturschutz, Klimaschutz und besonders artgerechte Tierhaltung geknüpft werden. Bauern, die Blühstreifen und Hecken anlegen, sollten dafür entlohnt werden dass sie unsere Natur und Kulturlandschaft erhalten.
Wichtig sind auch eine Umschichtung von Forschungsgeldern zugunsten nichtchemischer Alternativen zu Pestiziden und die Förderung von Anbausystemen mit einer größeren Blütenvielfalt. Außerdem brauchen wir dringend mehr Schutzgebiete, damit sich die Bestände erholen können. Auch unsere Wälder werden heute zu intensiv von der Forstwirtschaft genutzt und bieten keinen echten Schutz mehr. Unsere Forst- und Landwirtschaftspolitik muss sich daher grundlegend ändern, um die besorgniserregende Entwicklung des Biomasse- und Artenverlustes aufzuhalten.
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