
Paula Riester, Bundestagskandidatin für Berlin
64.539 Asylerstanträge wurden 2012 in Deutschland gestellt. Das sind mehr als in den Vorjahren. Doch wenn wir die Zahlen mit denen zu Beginn der neunziger Jahre – bevor das Asylrecht dramatisch eingeschränkt wurde – vergleichen, beantragen noch immer wenig Menschen Asyl. Die Panikmache, unsere Gesellschaft sei dem nicht gewachsen, ist völliger Quatsch. Eine Gesellschaft wird es verkraften, wenn im Vergleich zur Bevölkerungszahl weniger als 0,1 Prozent hier Schutz suchen. Und Probleme, die es etwa aufgrund fehlender Wohnmöglichkeiten gibt, wären nicht entstanden, wenn die Politik früher tätig geworden wäre. Denn klar ist: Flüchtlinge benötigen Schutz. Besonders deutlich wird das, wenn man sieht, aus welchen Ländern die meisten kommen: 2011 waren das Afghanistan und der Irak. Unsere Verantwortung hier abzustreiten wäre mehr als zynisch.
Der Irrweg im europäischen Asylsystem
Haben Flüchtlinge nach ihrem langen Weg Deutschland erreicht und einen Asylantrag gestellt, glauben sie an ein rechtsstaatliches Verfahren, das sich an Menschenrechten orientiert. Was sie jedoch kennen lernen ist ein flüchtlingspolitischer Irrweg in Europa, der den Namen „Dublin-II-Verfahren“ trägt. Denn die erste Frage der Behörden richtet sich nicht nach den Fluchtgründen sondern nach dem Fluchtweg. Und wer vorher durch einen anderen EU-Staat (zzgl. Island, Norwegen, Schweiz) geflohen ist – was außer bei einer Flucht per Flugzeug oder Schiff immer der Fall ist – für den ist Deutschland im Asylverfahren nicht zuständig und der kann einfach abgeschoben werden.
2012 hat Deutschland 11.469 Ersuchen zur Rücknahme von Flüchtlingen an andere EU-Staaten gestellt und damit seine Zuständigkeit für die Asylverfahren abgelehnt. Noch immer geht es also in fast jedem fünften Asylverfahren zunächst nicht um die Sache sondern ausschließlich um die Zuständigkeit. Doch das Dublin-II-Verfahren ist nicht nur für die EU-Außenstaaten ungerecht, die im Vergleich zu Binnenstaaten wie Deutschland viel mehr Asylsuchende aufnehmen. Das Verfahren ist vor allem für die Flüchtlinge ungerecht, die sich nicht selbstbestimmt für ein Land entscheiden können, dessen Sprache sie vielleicht schon sprechen, wo sie Familie oder Freund*innen haben. Es gilt allein der Fakt, wo sie als erstes ihren Fuß auf den Boden setzen.
Im Asylverfahren – Sammelunterkunft, Arbeitsverbot, Residenzpflicht
Ist die Dublin-II-Hürde genommen, geht es endlich um die Sache. Es finden Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge statt, manche Flüchtlinge befinden sich in ärztlicher oder psychologischer Behandlung, manche sind anwaltlich beraten und ansonsten wird gewartet. Gewartet auf den Bescheid, der über die Zukunft entscheidet, der entscheidet, ob man bleiben darf, ein bisschen bleiben darf, oder gleich gehen muss. Und währenddessen darf nichts anderes gemacht werden. Denn Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten und keine Ausbildung machen, meist wohnen sie in Gemeinschaftsunterkünften in menschenunwürdigen Bedingungen und dürfen ihren Landkreis oft wegen der so genannten Residenzpflicht nicht verlassen. Und bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung (ggf. inklusive Gerichtsverfahren) vergingen im Jahr 2011 durchschnittlich 12,2 Monate, bei Flüchtlingen aus Russland sogar mehr als 20 Monate.
Flüchtlingspolitik – das grüne Herzensthema
Flüchtlingspolitik ist grünes Herzensthema. Viele unserer Forderungen sind nicht neu, aber bei manchen Themen haben wir es bisher leider nicht geschafft, Mehrheiten in den Parlamenten und Regierungen zu schaffen. Aber wir werden weiter dafür kämpfen. Und als nächstes ist im Herbst der Bundestag dran.
In unserem Wahlprogramm setzen wir einen Schwerpunkt auf Flüchtlings- und Integrationspolitik. Und eins ist klar: Wer mit uns regieren will, muss in diesem Politikfeld mit uns viel anpacken. Wir wollen die Abschiebehaft, die Residenzpflicht und das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen. Wir wollen Flüchtlingen auch während des Asylverfahrens ermöglichen zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen. Insbesondere syrischen Flüchtlingen wollen wir es erleichtern, nach Deutschland zu kommen und dauerhaft zu bleiben. Und die rassistische Diskriminierung von Roma in ihren Herkunftsstaaten muss in Asylverfahren endlich angemessen berücksichtigt werden, anstatt sie auch hier weiter zu diskriminieren.
Ganz wichtig: der Irrweg im europäischen Asylsystem muss ein Ende haben. Mit uns Grünen in der Regierung werden wir dafür kämpfen, dass alle nach Deutschland kommenden Flüchtlinge hier ein faires Asylverfahren bekommen – anstatt sie aus formalen Gründen nach Polen, Italien oder Ungarn abzuschieben. Und wir möchten allgemein über den Sinn und Zweck von Abschiebungen reden. In einem ersten Schritt wollen wir für einzelne Länder einen allgemeinen Abschiebestopp erlassen, wenn nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann, dass es dort zu erneuten Verfolgungen kommt.
Zum Schluss: die doppelte bzw. mehrfache Staatsbürgerschaft ist längst überfällig. Schluss mit dem Optionszwang, der vor allem deutsch-türkische junge Menschen diskriminiert. Und für all das brauchen wir Ihre und Eure Unterstützung: am 22. September und danach!
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