Mit der deutschen Einheit wurde ein Feiertag verschoben. Sang- und klanglos. Vom 17. Juni auf den 3. Oktober. Das besagt etwas über Geschichtsbewusstsein und Erinnerungskultur in unserem Land.
Der 17. Juni bewahrte das Andenken an jenen Tag des Jahres 1953, an dem eine Volksbewegung für die Überwindung der Diktatur in der DDR von sowjetischen Panzern niedergeschlagen wurde. Seit 1990 gedenken wir am „Tag der deutschen Einheit“ nicht mehr des Volksaufstandes. Nun erinnert er an die Politiker, denen die friedliche Revolution von 1989 unverhofft die Möglichkeit bescherte, die staatliche Einheit zu vollziehen.
Unseren Nachbarn genügte meist ein stürmischer Anlauf zur bürgerlichen Nation. Wir brauchten etliche. Doch nicht einer davon wurde zum Nationalfeiertag. Der Tag der deutschen Einheit erinnert weder an die bürgerliche Revolution des 18. März 1848 noch an die Leipziger Montagsdemonstration des 9. Oktober 1989. Auch nicht an den Tag von Novemberrevolution 1919 und Mauerfall 1989, den 9. November. Am schwierigsten scheint der 17. Juni. Lange Zeit umstritten, ist er fast vergessen. Nicht einmal die Hälfte aller Deutschen weiß, was an diesem Tag geschah. Manche glauben gar, an diesem Tag sei die Mauer errichtet worden. Dabei fand an diesem 17. Juni 1953 ein Volksaufstand in über 300 Städten der DDR statt, mitausgelöst durch einen Streit von Bauarbeitern auf der Berliner Stalinallee.
Bereits Anfang der 60er-Jahre schrieb der Publizist Ernest J. Selter: „Der 17. Juni 1953 stieß in Westdeutschland auf Hilflosigkeit und Verwirrung. Der Aufstand brach völlig überraschend aus, er war im westdeutschen Denken nicht vorgesehen und wurde deswegen von ihm auch nicht bewältigt. Noch heute steht die Bundesrepublik diesem Tag mit ungewöhnlicher Verlegenheit gegenüber. Eine Gesellschaft, die aus verständlichen Gründen zutiefst antirevolutionär ist, hat den Tag einer Revolution zum „Feiertag“ verklärt und damit mythisiert.“
Im Lauf der Zeit war der Gedenktag schließlich zum patriotischen Ritual und arbeitsfreien Sommertag verkommen. Am 17. Juni 1983 weigerte sich die – erstmals in den Bundestag eingezogene – Fraktion der Grünen, an der Feierstunde im Parlament teilzunehmen. Auch sieben Jahre später konnten sich die westdeutschen Grünen mit der deutschen Einheit nicht recht anfreunden. So nahmen ihnen die Wähler 1990 die Chance, die Einheit im Parlament mitzugestalten und ließen sie eine Legislaturperiode aussetzen.
So plötzlich wie der Volksaufstand kam, ist er als Feiertag verschwunden. Zur Freude mancher, die in dem Ereignis noch heute eine vom Westen gesteuerte antisozialistische Konterrevolution sehen. Doch wir sollten wissen: Zwischen 1953 und 1989 existiert ein Zusammenhang der unverhofft friedlichen Vollendung. Auch wenn die Akteure kaum Berührung hatten und sich erst heute darüber verständigen können.
Von Werner Schulz MdB
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