Zur Überprüfung der Bezirksverordneten auf Mitarbeit bei der Staatssicherheit der DDR erklärt Bernadette Kern, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen BVV-Fraktion:
In der ersten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in dieser Wahlperiode am 26.10.2006 wurde auf Initiative der BündnisGrünen Fraktion der Antrag von SPD, CDU, BündnisGrünen und FDP auf Überprüfung der Bezirksverordneten auf hauptamtliche und/oder inoffizielle Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, bzw. das Amt für Nationale Sicherheit der DDR (Drucksache 0018/VI) beschlossen!
Was ist daraus geworden?
Die SPD erklärte, dass sie kein Problem mit dieser Überprüfung sähe, da ihre Mitglieder bei Eintritt in die SPD, bzw. bei der Listenaufstellung für die Wahlen überprüft wurden und würden. Die Mitglieder der BündnisGrünen Fraktion haben sich zum wiederholten Mal überprüfen lassen. Eine Fraktion hat die Überprüfung über Jahre hin boykottiert und blockiert, indem die eigenen Mitglieder nicht informiert und die nötigen Unterlagen an die Mitglieder nicht weitergereicht wurden. Eine weitere größere Fraktion hat sich der Überprüfung verweigert. Die BVV-Vorsteherin reicht bei Vorliegen des mehrheitlichen Beschlusses den Antrag auf Überprüfung aller Bezirksverordneten bei der Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) ein. In der Handreichung für die Überprüfung heißt es: „Diejenigen Mitglieder …, die ihre Zustimmung verweigern, sollten darauf hingewiesen werden, dass ihre Überprüfung bei einer entsprechenden Entscheidung …(Beschluss der BVV) auch ohne ihre Zustimmung stattfindet.“ (*). Die BVV-Vorsteherin hat den Antrag auf Überprüfung bei der Behörde nicht eingereicht (im Gegensatz zu anderen BVVen im Land Berlin).
Das heißt, der Beschluss und damit die Selbstverpflichtung der BVV wurde bis zum Ende der Wahlperiode nicht umgesetzt, nicht erfüllt.
Unsere Fraktions- und Kreisvorsitzende, Bernadette Kern, gab vor der letzten Sitzung der BVV in dieser Wahlperiode am 25.8.2011 eine persönliche Erklärung ab, darin heißt es:
„ …
Ein mehrheitlicher Beschluss der BVV kann formal nicht durch Ignorieren auf diese Weise nicht ausgeführt und „versenkt“ werden. Allein die BVV könnte durch einen Gegenbeschluss die Drucksache 0018/VI aufheben oder verändern. Der Beschluss ist damit formal nicht umgesetzt und formal nicht erledigt.
Aber es ging den VertreterInnen der vier Parteien, die den Antrag gestellt haben, nicht um Formalitäten. Es ging und geht um die Integrität und Vertrauenswürdigkeit von PolitikerInnen in hohem Maße und darum, die WählerInnen in die Lage zu versetzen, zukünftig frei und informiert zu entscheiden, wem sie das Mandat erteilen wollen!!! In Bezug auf die Arbeit der BVV ging und geht es um das Vertrauen in der gemeinsam zu leistenden politischen Arbeit. Es ist nicht nur bedauerlich, dass dies nicht gelungen ist, dass dieser Beschluss nicht als Instrument der Vertrauensbildung und zur Schaffung besserer Voraussetzungen für unsere politische Arbeit begriffen worden ist. Die Vorgänge, besonders im Land Brandenburg zeigen deutlich, dass die Sprüche „Nach zwanzig Jahren muss doch mal Schluss sein“, „Das interessiert doch niemanden mehr“ an der Wirklichkeit vorbeigehen. Das Thema hat sich nicht erledigt und es belastet die gegenwärtige Arbeit und verhindert Zukunft. Die ältere Vergangenheit immer wieder für die eigene Politik zu instrumentalisieren, die jüngere Vergangenheit, an der man selbst persönlich beteiligt war, auszublenden, halte ich für Heuchelei.
Das Fatale an dieser Art von „Vergessen und Verdrängen“ ist: Es wirkt nicht das, was ich öffentlich fünf Jahre lang immer wieder erkläre, sondern das, was ich tue. Die Vorbildwirkung der Politik für die Bürgerinnen und Bürger in unserm Stadtbezirk ist entscheidend. Deshalb halte ich die Wirkung dieser Nicht-Umsetzung der Überprüfung, der Verweigerung gerade in unserem Bezirk für so fatal und für eine Behinderung und Verhinderung von Zukunft. (Ich verweise auf Salomea Genin „Ich folgte den falschen Göttern“ Salomea Genin, eine in Berlin geborene Jüdin, in Australien aufgewachsen, aus kommunistischer Überzeugung in die DDR zurückgekehrt, als begeisterte Kundschafterin tätig, setzte sie sich seit Mitte der 1980er Jahre mit ihrem bisherigen Leben auseinander. „… Es gelang mir nicht zu verdrängen, denn ich hatte den Satz von George Santayana “Wer seine Vergangenheit vergisst, ist dazu verdammt sie zu wiederholen.” zu oft gesagt. …“.)
Die Verweigerung der Überprüfung bedeutet die Verweigerung des Dialogs, der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte. Seit 21 Jahren werden mir und uns Gespräche als Ersatz für die Überprüfung avisiert. Seit 21 Jahren hat es kein Gesprächsangebot gegeben. Das Gift des Misstrauens, das durch die Staatssicherheit zu DDR-Zeiten gespritzt wurde, wirkt Jahrzehnte weiter bis heute und belastet die Arbeit, die wir gemeinsam zu leisten haben. Es gibt nur ein Gegengift; Vertrauen schaffen durch einen ehrlichen Umgang mit der eigenen Biographie, der die Übernahme von Verantwortung für das gelebte Leben in der DDR einschließt.
Meine Erfahrung und meine eigene Zielstellung ist: Wenn man sich im Dialog miteinander mit der Vergangenheit auseinandergesetzt hat, dann bleibt nicht mehr Verdacht, Verdächtigung, Nachrede und Misstrauen bestehen, sondern genau dies kann zu den Akten gelegt werden und dann kann es miteinander vorwärts gehen. Es ist sehr schade und macht mich betroffen, dass diese Chance in dieser BVV nicht begriffen und nicht genutzt worden ist. Der Beschluss 0018/VI der BVV hat sich nicht erledigt. Es wird weiter, auch in der nächsten BVV, darum gehen, Misstrauen auszuräumen, Vertrauen zu schaffen als bestmögliche Voraussetzung für gemeinsame politische Arbeit, bei den WählerInnen und in der BVV.
Dafür werde ich mich einsetzen.
Bernadette Kern
(Fraktions- und Kreisvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen in Marzahn-Hellersdorf, Listenplatz 1 für die Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung Marzahn-Hellersdorf, Direktkandidatin im Wahlkreis 2 (Marzahn Mitte) und Listenplatz 39 für die Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin)
* Handreichung zur Überprüfung von Angehörigen kommunaler Vertretungskörperschaften und von kommunalen Wahlbeamten im Land Brandenburg auf hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR


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